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Kapitel 4: Immer Richtung Westen

  • Beitrags-Kategorie:Reiseberichte
  • Lesedauer:15 min Lesezeit

01. Juni – 25. Juni 2019; Kanada: Quebec, Ontario, Manitoba, Sasketchewan & Alberta

Zurück in Tadoussac sind wir dezent schockiert: der nette kleine Ort hat so gar nichts mehr mit dem gemein, wie wir ihn vor einem Monat kennengelernt haben und ist super überlaufen! Wie wir etwas später herausfinden, hat genau an diesem Wochenende ein Indie Rock Festival stattgefunden, was die Situation einigermaßen erklärt. Wir sind trotzdem sehr froh schon früher da gewesen zu sein, auch wenn es sau kalt war. Aber egal, wir gehen in den einzigen Supermarkt des normalerweise 800 Menschen zählenden Dorfs und kaufen ein, was uns die Festivalbesucher*innen noch übrig gelassen haben.[1] Kurze Zeit später treffen wir dann endlich Manu und Steffi und auch die beiden haben rein gar nichts dagegen, dem Trubel in Tadoussac zu entfliehen. Wir fahren los Richtung Fjord du Saguenay, wo wir abends auf einem wunderschönen Campingplatz mit Blick über den Fjord, das Wiedersehen mit allerlei Köstlichkeiten aus der Heimat und Kanada gebührend feiern :-)!

Auf unserem gut 1000 km langen gemeinsamen Roadtrip durch das nördliche Quebec wird die Landschaft zuhends wilder, es sind immer weniger Menschen unterwegs und die Abstände zwischen den Städten wachsen auf mehrere hundert Kilometer an. Im „Reserve Faunique Ashuapmushuan“ landen wir auf einem kleinen Campingplatz, wo wir nach einiger Suche einen Ranger mit blutigen Handschuhen und Skalpell finden. Wie sich herausstellt, hat gerade die Bärenjagdsaison begonnen und die stolzen (und erfolgreichen) Jäger lassen ihre Beute auf dem Campingplatz professionell ausnehmen – etwas verstörend. Auch die von mir fälschlicherweise als Eisladen (da mit „Glacier“ betitelt) identifizierte Hütte, beherbergt mehrere tote Schwarzbären. Glücklich, dass der Campingbereich für unbedarfte Touris am anderen Ende des Platzes ist, genießen wir trotzdem zwei wundervolle sonnige Tage mit Feuerholz hacken (Manu beweist sich als wahrer Meister), Boot fahren und in der Hängematte chillen. Auch bärentechnisch ist glücklicherweise ein Aufwärtstrend zu verzeichnen, da wir auf dem weiteren Weg immerhin noch einen lebenden Schwarzbären zu Gesicht bekommen.

Angekommen in Val D´or, dem Ende unserer gemeinsamen Reise wird es dann endlich so richtig sommerlich! Diese schöne Tatsache hat lediglich eine negative Nebenerscheinung: Mücken! Wirklich haufenweise Mücken. Soviele, dass uns das, vor allem in Europa sorgenbereitende Insektensterben für eine kürzere bis längere Weile etwas übertrieben vorkommt. Da hier kein Insektenspray der Welt mehr etwas ausrichten kann, fahren wir an unserem letzten Abend zu viert in die Stadt und genießen, „dank“ Industrie und Abgasen, einen super leckeren Burger und Cocktails in mückenfreier Atmosphäre.

Nachdem sich unsere Wege am nächsten Morgen trennen, heißt es für uns Strecke machen: wir wollen in den nächsten drei Wochen ca. 3000 km quer durchs Land zu den großen Nationalparks in Alberta und British Columbia. Aus uns mittlerweile unerfindlichen Gründen, unterliegen wir der Fehleinschätzung, dass sich zwischen der Ostküste Kanadas und den Rocky Mountains im Westen nicht allzu viel anderes als flache Prärie und eher unspäktakuläre Regionen befinden. Wie wir uns da täuschen! Die nächsten Tage verbringen wir zuerst einmal mehr oder weniger damit, dem schönen Wetter hinterher zu fahren. Zu Bennys Geburtstag soll geschlemmt werden, was unser Feuertopf hergibt und so landen wir schließlich am Strand von Terrace Bay, einem kleinen Ort am unfassbar großen Lake Superior. Ein würdiger Ort für einen Geburtstag, wie wir finden, sodass wir es ordentlich krachen lassen und die langen Abende (mittlerweile ist es bis fast 23 Uhr hell) genießen.

Anschließend fahren wir weiter Richtung Thunder Bay und finden einen sehr schönen und vor allem ruhigen Platz am „Dog River“. Gerade als wir uns bei einer Tasse Tee von der Feierei der letzten Tage erholen wollen, schlägt neben uns ein Typ sein Zelt auf, der von seiner Art und seinem Aussehen ein bisschen was von ehemaliger Soldat oder aber mindestens Survival-Profi hat. Tatsächlich hat Mike ungefähr so viele Facetten, wie der Tag Stunden! Er ist Selfmade-Mechaniker und gelernter Friseur; er fährt in den Busch um neue Energie zu tanken und ist bereits um 11 Uhr im Wodka-Rausch; er bereitet sich akribisch auf den nahenden Weltuntergang vor und hat gleichzeitig den großen Wunsch, als Jedi-Ritter zu reinkanieren; er heilt Menschen durch Hand auflegen und verdient sich nebenbei Geld als Türsteher; lehrt uns einerseits die Energie der Bäume zu sehen und andererseits nen ordentlichen Roundhouse-Kick – um nur so nen paar Sachen aufzuzählen ;-)! Vor allem aber ist er ein echt super netter Kerl, mit dem wir zwei sehr lustige Abende im Busch verbringen (wie die endlosen Wälder hier genannt werden).

Nach dem Wochenende lädt uns Mike zu sich und seiner Familie nach Hause ein, wir haben ihm nämlich von einem Ölfleck erzählt, der uns seit einiger Zeit begleitet. Nach einem ausgiebigen Sonntagsbrunch kriechen wir zusammen unter den Bus, aber auch Mike kann die Ursache für das Leck nicht ausfindig machen. Wir beschließen die Sache ordentlich anzugehen und wollen tags drauf in eine Werkstatt gehen. Den Sonntag verbringen wir in Thunder Bay, einer semi-attraktiven Großstadt, die zwar am Lake Superior aber ansonsten echt sehr isoliert liegt. Glücklicherweise findet die Thunder Pride statt, sodass es trotzdem ein lustiger Nachmittag wird. Am nächsten Morgen stehen wir richtig früh auf und fangen an, diverse Werkstätten abzuklappern. Man reicht uns von einer Adresse weiter zur nächsten, Werkstatt Nummer vier ist dann schon außerhalb der Stadtgrenzen. Aber der Mechaniker Randy verbringt fünf Stunden damit, unseren Bus professionellst auseinander zu nehmen und wieder zusammen zu bauen. Während dieser Zeit lernen wir vermutlich mehr über unser Auto, als in den gesamten 4 Jahren davor. Das ist der positive Aspekt. Der negative: Randy stellt etwa drei Stunden und einen ausgebauten Zahnriemen später fest, dass das Ölleck seinen Ursprung in einer nicht richtig festgezogenen Schraube hat – ein Fehler unserer (ehemaligen!) Werkstatt in Deutschland, der uns mal kurz 450€ kostet.

Naja, lässt sich nun auch nicht mehr ändern, also weiter Richtung Westen auf einem Highway, der uns lange direkt an der Grenze zu den USA und durch wunderschöne Wald- und Seenlandschaften führt. Wie bereits vorhin schon mal irgendwo erwähnt, werden die Abstände zwischen den Städten und damit auch zwischen den Tankstellen immer größer. Im Westen von Ontario gelingt es uns zum ersten Mal, dass uns fast der Sprit ausgeht – wir rollen die letzten 600 Meter mit abgestorbenen Motor bis zur Tanke (wie gerne würde ich behaupten, das wäre geplant gewesen). Aber auch weiterhin haben wir das Glück wahnsinnig hilfsbereite und interessierte Menschen kennenzulernen – vor allem unser Bus mit den deutschen Nummernschildern zieht immer wieder die Aufmerksamkeit auf sich. Und so schwanken wir in den nächsten Tagen des Öfteren zwischen Anhalten, die Gegend genießen, mit den Menschen ins Gespräch kommen oder zügig in die Rocky Mountains zu fahren. Während wir Manitoba auf erstere Art und Weise recht schnell hinter uns lassen, lernen wir die nächste Provinz Sasketchewan aufgrund mehrerer unvorhersehbarer Ereignisse dann jedoch recht gut kennen.

Und auf einem Rastplatz mitten in der Prärie beginnt sie dann:

DIE GESCHICHTE MIT DER MAUS!

Nach einem gemütlichen Abend im Bus weckt mich Benny um etwa ein Uhr nachts mit einem Satz, mit dem eindeutig niemand geweckt werden möchte: „Lena, wir haben irgendein Tier im Bus! Vielleicht ne Maus oder so…“. Nun haben wir beide eigentlich rein gar nichts gegen Mäuse einzuwenden, eine im Bus zu haben ist aber echt weniger angenehm! Wir machen uns „auf die Jagd“ was so aussieht, dass wir mit der Fliegenklatsche auf Sitzen stehend versuchen, die Maus freundlich aus dem Bus hinaus zu komplimentieren. Nach ner halben Stunde hören und sehen wir nichts mehr und legen uns schließlich dezent kaputt und mit einem etwas mulmigen Gefühl wieder ins Bett. Zu recht, denn wenig später hören wir es hinter unserer Küchenzeile lautstark nagen! Das ist nun tatsächlich besorgniserregnd, da sich dort ein Haufen Elektronik befindet und die Möbel im Großen und Ganzen unmöglich zu entfernen sind. An Schlaf ist jetzt nicht mehr zu denken und wir fahren noch im Morgengrauen weiter nach Regina, der Provinzhauptstadt. Dort erstehen wir zwei Mäusefallen und beschließen, die Maus den Tag und Abend über in Ruhe Maus sein zu lassen – in der Hoffnung, dass sie abends dann in der Falle gelandet ist.

So verbringen wir einen Tag in Regina, einer durchaus netten Stadt, die auch einiges zu bieten hat. Um 23 Uhr abends sind wir dann aber endgültig durch mit dem Sightseeing und auch ziemlich erschöpft, sodass wir nur noch hoffen, die Maus möge sich ausgetobt haben. Wie sich herausstellt hat sie das und zwar wie! Als wir unsere Gewürzschublade öffnen stellen wir fest, dass das kleine Wesen in den letzten 22 Stunden insgesamt 2 ½ Muskatnüsse verdrückt hat. Ergänzend sollte ich an dieser Stelle vermutlich hinzufügen, dass diese Menge Muskatnuss auch bei einem erwachsenen Menschen von ca. 90 Kilo Körpergewicht leicht berauschende Zustände hervorruft – man rechne sich selbst aus, was das dann mit einem mausgroßen Lebewesen anstellt ;-)… So bleibt uns das Wissen: Auch wenn die Maus sterben musste (und das musste sie) ist sie vermutlich mega breit und zufrieden abgetreten! [2]

Kurz nach Regina wollen wir wenigstens noch eine Nacht im Cypress Hills Interprovincial Park verbringen, der mit seinen Bergen wohl eine beeindruckende Abwechslung zur flachen Präsrie in Manitoba und dem restlichen Sasketchewan sein soll. Auf dem Weg dorthin nehmen wir Maddie und Noah mit, die zurzeit quer durchs Land nach British Columbia trampen. Als Noah erfährt wohin wir fahren, kontaktiert er spontan Freunde, die ihn bei seiner letzten Trampingtour mitgenommen und für zwei Tage beherbergt haben. Wir verstehen uns ziemlich gut mit den beiden und fahren sie bis nach Maple Creek, wo sie besagte Freunde treffen. Spontan gehen wir noch auf ein Bier mit in den Saloon[3] und eine halbe Stunde später sind wir eingeladen, direkt im Park vor Mac und Brendas Cabin zu stehen und so lange zu bleiben, wie wir wollen.

Mac und Brenda, ein Hippie-Pärchen in den besten Jahren, sind eindeutig die gastfreundlichsten, großzügigsten und (im angenehmsten Sinne) durchgeknalltesten Menschen, denen wir bislang begegnet sind und wir verbringen eine ziemlich unbeschreibliche Zeit. Eine abgedrehte Story aus ihrem Leben jagt die nächste und wir kommen aus dem Lachen und manchmal auch Staunen nicht mehr hinaus.[4] Den nächsten Tag verbringen wir mit einer Tour durch das südliche Sasketchewan, das sehr viel abwechslungsreicher ist, als es vom Highway aus den Eindruck macht. Wir landen in einer Bar im winzigen Kaff „Eastend“ wo Lina aus Münster arbeitet (jaja, die Welt ist klein und so) und unsere Runde wird durch sie und ihren Ehemann erweitert. Der Abend schließt relativ nahtlos an den ersten an… vielleicht mit dem kleinen Unterschied, dass Benny am nächsten morgen mit einer neuen Frisur aufwacht, Maddie und Brenda hatten Lust auf Haare schneiden :-)! Am nächsten Tag fahren wir leicht wehmütig weiter: die letzten 48 Stunden bei Mac und Brenda waren eine unvergleichliche Zeit und haben sich ein bisschen so angefühlt, als säßen wir mit langjährigen Bekannten zusammen.

Bevor wir in die Berge kommen, machen wir nach diesen unbeschreiblichen Tagen noch einen kurzen Abstecher nach Drummheller, übernachten dort direkt bei den sogenannten „Hoodos“ (ziemlich abgefahrene Felsformationen) und erholen uns ein bisschen. Schließlich wollen wir es aber wissen und als wir in der Nähe von Calgary sind, können wir sie endlich in der Ferne erahnen: die Rocky Mountains.


[1] Nicht ohne den Anflug der Erkenntnis, was unsere Festivalbesuche in einer kleinen Stadt im Schwarzwald wohl für einen Eindruck hinterlassen haben müssen!

[2] Rückblickend ist es schon etwas witzig, das ausgerechnet eine Maus das Tier wird, mit dem wir in Kanada bisher am meisten zu kämpfen haben! Was wurden wir nicht vor Grizzlys, Schwarzbären, Elchen und weiteren wilden Tieren gewarnt, wann immer wir von unseren Plänen nach Kanda zu reisen erzählt haben – von wegen!

[3] Jap, das heißt hier tatsächlich so und die Cowboys sehen aus wie Lucky Luke – kein Scheiß!

[4] Unter anderem geht es um Zungenküsse mit Billy Bob Thornton; eine Freundin, die bei den Dead South Banjo spielt; die Organisation eines Hippie Festivals; den unvergleichlichen Stan Rogers; abgefahrene Storys aus Marokko und weitere zahlreiche Anekdoten aus einem immer noch wilden Leben

Dieser Beitrag hat 5 Kommentare

  1. Knut Kampermann

    Bin bei euch, durch die Worte, die mich fesseln, die spielend die vielen tausend Kilometer geographischen Abstand zu euch überbrücken…
    Ihr reist!!!
    Toll, und wie!!!
    Als Reisender wünsche ich euch das Allerbeste für die Reise…
    Was das schönste war, wird sich vielleicht am Ende zeigen, vermutlich aber eher nicht, weil es eine Reise ist, so überraschend wie ihr es beschreibt und so bunt, dass…
    Von Herzen das Beste!!!
    Euer Knut und Caty!

    1. Lena & Benny

      Schön, das von Dir und Euch zu hören – insbesondere als ebenfalls Reisende!!! Das Schönste erscheint uns das große Glück, „unterwegs“ sein zu können und dürfen… mit all den fantastischen Begegnungen, der unglaublichen Natur und den großen und kleinen Abenteuern.
      Ganz liebe Grüße zu Euch

  2. Claudia

    Traumhafte Erlebnisse mit der Wildnis, tollen Menschen…und Mäusen

  3. Gerrit

    Euer reisebericht ist hammer, kanns nur wiederholen! Das, was ihr macht, ist wohl die beste zeit, die man haben kann! Weiter so!!!😉

    1. Lena & Benny

      Dankeschön 🙂

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